„Gute Arbeit in der Pflege“
06.11.2014
Thomas Koch
Was macht gute und professionelle Pflege aus? Wie gelingt es, mehr Nachwuchs zu gewinnen und die Zufriedenheit der Beschäftigten zu erhöhen? Zu diesen Themen referierte Prof. Dr. Thomas Klie als einer von sechs Experten auf der ersten öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission „Pflege in Baden-Württemberg zukunftsorientiert und generationengerecht gestalten“.
Was muss sich in Baden-Württemberg ändern, um die Qualität der pflegerischen Versorgung jetzt und dauerhaft sicherzustellen? Diese Frage untersucht die seit Ende März eingesetzte Enquete-Kommission „Pflege in Baden-Württemberg zukunftsorientiert und generationengerecht gestalten“. Am 24.10.2014 lud die Kommission sechs Sachverständige in den Stuttgarter Landtag ein, um mehr darüber zu erfahren, was „Gute Arbeit in der Pflege“ eigentlich ausmacht. Die erste öffentliche Anhörung war von so vielen Gästen besucht, dass kein Platz leer blieb. Helmut Rüeck (CDU), Vorsitzender der Enquete-Kommission, würdigte das große Interesse der Bevölkerung und übergab dann direkt an Prof. Dr. Thomas Klie. Der Gerontologe und Rechtsanwalt nahm zu Beginn seines Referats Bezug auf die Prognose der Bertelsmann-Stiftung, die bis 2030 etwa 500.000 fehlende Vollzeitkräfte in der Pflege voraussagt. Als Institutsleiter der AGP Sozialforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg verantwortete Thomas Klie die vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebene Studie „Herausforderung Pflege – Modelle und Strategien zur Stärkung des Berufsfeldes Altenpflege“. Den entscheidenden Faktor für eine gute und professionelle Pflege sieht Klie in den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten.
Feste Dienstpläne und an Lebensphasen orientierte Arbeitszeiten
Gerade im Frauenberuf Pflege findet Klie es unerträglich, wenn der Dienstplan oft kurzfristig wechselt und beispielsweise das Familienleben darunter leidet. Zu häufig würden Pflegende am Wochenende zum Dienst gerufen und müssten wegen Ausfällen für Kollegen einspringen. Klie ist verwundert, dass viele Mitarbeiter den Beruf trotz dieser belastenden Situation nicht aufgeben. Vielmehr gäbe es in kaum einem anderen Arbeitsfeld eine höhere Identifikation der Fachkräfte mit dem Arbeitgeber. Um die „Hochengagierten“ im Beruf zu halten, sollten die Arbeitsbedingungen so gestaltet sein, dass sie auch die privaten Bedürfnisse der Pflegenden berücksichtigen. Dies wäre etwa durch an Lebensphasen orientierte Arbeitszeitmodelle möglich. Der Jurist verweist dabei auf das Best-Practice-Beispiel der Sozial-Holding Mönchengladbach, die kürzlich einen internationalen Preis erhielt – unter anderem wegen eines generationengerechten Arbeitszeitprojekts. Klie befürwortet außerdem ein betriebliches Gesundheitsmanagement, das auch die psychischen Belastungen der Mitarbeiter ins Auge fasst. Nicht nur der Rücken vieler Pflegender, auch die seelische Gesundheit der Beschäftigten wären stark beansprucht. Daneben sollte es den Pflegenden ermöglicht werden, dass sie sich in Aus-, Fort- und Weiterbildungen qualifizieren und ihr erworbenes Wissen auch im Arbeitsalltag umsetzen können.
Professionalisierung weiter vorantreiben
Leitungskräften in Krankenhäusern und Langzeitpflegeeinrichtungen empfiehlt Klie, dass sie stärker als „Anwälte“ der Mitarbeiter fungieren, um die Professionalisierung der Pflege voranzutreiben. Gute und professionelle Pflege könne zudem auf Dauer nur mit einer ausreichenden Zahl an speziell qualifizierten Beschäftigten realisiert werden. Der Referent setzt sich für eine deutlich höhere Fachkraftquote in der Altenpflege ein. Der Anteil akademisch qualifizierter Pflegender sollte 10 bis 20 Prozent ausmachen – wie es auch der Sachverständigenrat der Wirtschaft als Ziel benennt. Wichtig sei, dass vorab die Aufgabenfelder der universitär ausgebildeten Pflegenden klar definiert werden. Nur so könnten Absolventen auch ihrer Kompetenz gerecht werden und beispielsweise Prozesse auf Stationen selbstverantwortlich steuern.
Laut Klie würden Pflegekräfte künftig vor allem in den Bereichen stark nachgefragt, in denen bisher vor allem Familie, Freunde und Nachbarn einen Großteil der Sorge- und Pflegearbeit übernommen haben. Stichwort Nachwuchsproblem: Imagekampagnen, die für eine Ausbildung in der Pflege werben, hält der Experte häufig für verfehlt, da sie zu spät ansetzen. Vielmehr sollten Menschen bereits in jungen Jahren dafür sensibilisiert werden, was es heißt, gesellschaftlich verantwortlich zu handeln, um so Nähe zu sozialen Berufen zu entwickeln.
Mehr zum Thema
Neben Thomas Klie referierten bei der ersten öffentlichen Anhörung der Enquete-Pflege-Kommission:
• Thomas Reumann, Vorsitzender der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft
• Ernst Olbricht vom Katholischen Pflegeverband e.V.
• Prof. Dr. med. Volker Köllner, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Verhaltenstherapie und systemische Familientherapie
• Herbert Weisbrod-Frey, Bereichsleiter, Ver.di Bundesvorstand
• Michael Wipp, Geschäftsführer, Haus Edelberg, Vorstandmitglied beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V.(bpa)
Im Webangebot des Landtags von Baden Württemberg können Sie sich die komplette öffentliche Anhörung der Enquete-Pflege-Kommission ansehen.