Pflege-Thermometer 2014
02.09.2014
Thomas Koch
23 Prozent der in deutschen Kliniken behandelten Patienten leiden an Demenz. Durch zunehmenden Personalmangel in der Pflege können die Betroffenen häufig nicht angemessen versorgt werden.
Zu dieser Einschätzung kommen Forscher des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V.(dip). Für die Studie „Pflege – Thermometer 2014“ befragten sie 1.844 Stations- oder Abteilungsleitungen aus Kliniken in ganz Deutschland. Innerhalb der Fachbereiche war die Innere Medizin mit 591 Stationen am häufigsten vertreten. Im Durchschnitt waren die befragten Pflegenden seit mehr als elf Jahren in leitender Position tätig. Die Analyse der Fragebögen ergab, dass nach Einschätzung der Pflegenden fast jeder vierte Patient (23 Prozent) an Demenz erkrankt ist. Die Forscher gehen davon aus, dass sich die Anzahl in den nächsten Jahren weiter erhöht. Denn laut Krankenhausstatistik des Bundes stieg der Anteil der über 75-jährigen Patienten in Kliniken zwischen 2000 und 2012 von 18 auf 25 Prozent an.
Personalmangel und finanzielle Hürden größte Hindernisse
Die Ergebnisse des Pflege-Thermometers zeigen, dass Menschen mit Demenz in Kliniken nicht ausreichend durch die Pflege versorgt werden können. 76 Prozent der Stations- und Abteilungsleitungen gaben an, dass Konzepte zur besseren Versorgung der Betroffenen nicht zum Einsatz kommen, weil das Geld dafür fehlt. Daneben sei eine bessere Versorgung von Patienten mit Demenz häufig wegen der knappen Stellenbesetzung auf den Stationen nicht umzusetzen. Nur in Frühdiensten an Werktagen sind 69 Prozent der Teilnehmer der Meinung, dass die Betroffenen angemessen versorgt wären. In Spätdiensten von Montag bis Freitag glauben das nur noch 48 Prozent. Bei Nachtdiensten in der Woche stufen lediglich 22 Prozent der Befragten die Pflege als ausreichend ein, 74 Prozent sehen das nicht so. Die Versorgungsqualität an Wochenenden beurteilten die Studienteilnehmer wie folgt:
- Frühdienst (Wochenende): 48 Prozent denken, dass die Versorgung gesichert wäre, 46 Prozent stufen diese als nicht ausreichend ein.
- Spätdienst (Wochenende): 34 Prozent gehen von sicherer Pflege aus, 46 Prozent sind gegenteiliger Meinung.
- Nachtdienst (Wochenende): 21 Prozent halten die Pflege der Betroffenen für angemessen, 75 Prozent glauben, dass die Versorgung nicht gesichert ist.
Laut den Studienautoren zeigen diese Angaben, dass die Pflegesituation für Menschen mit Demenz vor allem nachts am kritischsten ist, sowohl an Werktagen als auch am Wochenende.
Sedierende Medikation und Fixierungen
Die Forscher um Studienleiter Prof. Dr. Michael Isfort befragten die Pflegeleitungen auch, wie oft in den vergangenen sieben Tagen „unerwünschte Vorkommnisse“ auftraten. Am häufigsten bemängelten die Teilnehmer die Patientenbeobachtung. Die Pflegenden berichteten von 16.500 Situationen, in denen diese nicht ausreichend war. Insgesamt 7.600 mal erhielten Patienten mit Demenz sedierende Medikamente. Daneben führten die Pflegenden 1.455 Fixierungen an. Das Forscherteam des dip erstellte Hochrechnungen, basierend auf diesen Daten. Demnach würden innerhalb eines Jahres zirka 2,6 Millionen Demenzerkrankte in Krankenhäusern Sedativa erhalten. Die Forscher gehen zudem jährlich von schätzungsweise 500.000 körpernahen Fixierungen bei den Betroffenen aus.
Weiter gaben die Studienteilnehmer an, dass sich 4.971 Patienten während der letzten sieben Tage die Verweilkanüle selbstständig entfernten, in 5.455 Fällen lösten sie ihre Verbände eigenmächtig ab. Zusätzliche Gefahren für die Sicherheit der Patienten zeigen sich laut Studie darin, dass es in allen Abteilungen durchschnittlich einmal pro Woche vorkam, dass ein Patient unbemerkt die Stationen verließ und nicht zurückfand.
Konzepte für angemessene Versorgung in Kliniken umsetzen
Die Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK e.V.), Christel Bienstein, reagierte in einer Pressemitteilung wie folgt auf die Forschungsergebnisse des dip: „Es ist erschreckend und beschämend, dass in einer großen Zahl deutscher Krankenhäuser Menschen, die an einer Demenz leiden, nicht angemessen versorgt werden können, ja sogar gefährdet sind“. Der DBfK fordert, dass bestehende Demenz-Konzepte in den Kliniken umgesetzt werden.
Quelle
Isfort, M.; Klostermann, J.; Gehlen, D., Siegling, B. (2014): Pflege-Thermometer 2014. Eine bundesweite Befragung von leitenden Pflegekräften zur Pflege und Patientenversorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus. Herausgegeben von: Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip), Köln. Online verfügbar unter http://www.dip.de, Köln
Mehr zum Thema in CNE.online
- Die Lerneinheit "Demenzerkrankte verstehen" beschreibt die Lebenssituation, in der sich die Betroffenen befinden, und liefert Ihnen wertvolle Informationen zur Beziehungsgestaltung im Pflegealltag.
- In der Lerneinheit "Herausforderung Demenzpflege" erfahren Sie unter anderem, wie Sie die Mobilität von Demenzkranken erhalten können.