Unzureichende Versorgung von Menschen mit Depressionen
26.03.2014
Stefanie Zink
Nur ein Viertel aller Menschen mit der Diagnose „schwere Depression“ in Deutschland erhält eine angemessene Therapie.
Zu diesem Ergebnis kam das Forscherteam um Prof. Dr. Holger Schulz, Prof. Dr. Dr. Martin Härter und Dr. Hanne Melchior vom Institut für Medizinische Psychologie der Universität Hamburg. Das Datenmaterial stammt von rund 6 Millionen Versicherten der Betriebs- und Innungskassen, das vom Health Risk Institut ausgewertet wurde.
In ihrer Studie „Faktencheck – Depression“ fanden die Forscher heraus, dass die Therapie bei dem überwiegenden Anteil der Betroffenen nur aus einem Antidepressivum oder einer Psychotherapie bestand. Die leitliniengerechte Therapie sieht aber beides vor. 18 Prozent der chronisch Depressiven erhielten gar keine Behandlung. Auffällig ist, dass vor allem Menschen über 60 Jahre hauptsächlich nur noch medikamentös behandelt werden, aber ihre Chance auf eine Psychotherapie sinkt. Vier von zehn der über 60-Jährigen bekommen gar keine Therapie.
Mangelhafte Diagnosestellung
Rund die Hälfte aller Patienten erhielt eine unspezifische Diagnosestellung. Davon waren die Hausärzte mit 75 Prozent am meisten beteiligt. Auffällig waren auch regionale Unterschiede: Während in den Ballungsgebieten und im Süden Deutschlands sehr viele Diagnosen gestellt wurden, kam eine Diagnose in den neuen Bundesländern seltener vor.
Wohnortabhängige Versorgung
Auch die Behandlung schwankt regional sehr stark: In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Hessen erhalten die meisten Patienten eine leitliniengerechte Versorgung. Bayern, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind die Schlusslichter. Sogar auf Kreisebene gibt es starke Schwankungen. Diese reichen von 10-40 Prozent der behandelten Fälle. Regional verschieden ist ebenfalls die Anzahl der Patienten, die Psychotherapie erhalten. Dort sind die Universitätsstädte auf den ersten Plätzen, während die ländlichen Gebiete im Osten Deutschlands und in Bayern die Schlussplätze belegen. Zur Behandlungsqualität zählt auch die Behandlungsdauer. Hier stellten die Forscher fest, dass nur etwa ein Viertel der Betroffenen eine ausreichend lange medikamentöse Therapie erhält.
Zusammenhang zwischen Ärzteverteilung und Therapiemöglichkeiten
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass die Anzahl der Fachärzte mit der Diagnosestellung und der leitliniengerechten Behandlung korreliert. Dort, wo es viele Fachärzte und Psychotherapeuten gibt, ist die Anzahl der behandelten Patienten auch höher. Im Gegensatz zu den Gebieten mit geringer Facharzt- und Psychotherapeutenquote liegt die Zahl der verordneten Antidepressiva höher.
Die Forscher leiten hieraus drei Szenarien ab:
- Die Diagnostik ist bei Fachärzten genauer, d.h. Nichtfachärzte erkennen nur die schweren Fälle (Unterdiagnostik).
- Ein großes Angebot an Fachärzten führt zu einer häufigeren Krankheitseinstufung (Überdiagnostik).
- Menschen, die sich wegen einer Depression stigmatisiert fühlen, könnten in ländlichen Gegenden weniger häufig einen Arzt wegen ihrer Symptomatik aufsuchen.
Mehr zum Thema in CNE.online
Die Depression gehört laut WHO zu einer der häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit. Dennoch fällt die Diagnose einer Depression häufig schwer, wie die aktuelle Studie oben darstellt. In der Lerneinheit "Pflege von Menschen mit Depressionen" erfahren Sie mehr über typische Anzeichen, die für eine depressive Erkrankung sprechen, und wie Sie mit Betroffenen angemessen interagieren.