Selbsttötungswunsch trotz Palliativversorgung
18.12.2015
Kristina Mohr
38 Prozent der deutschen Bevölkerung kann sich vorstellen, das eigene Leben beenden zu wollen, auch wenn sie im Falle einer schweren Krankheit palliativ gut versorgt sind. Forscher der Ruhr-Universität Bochum und der Medizinischen Hochschule Hannover werteten die Daten von knapp 1.600 Befragten im Alter zwischen 18 und 79 Jahren aus, die 2015 an einer Studie der Bertelsmann-Stiftung und der Barmer-Krankenkasse teilgenommen hatten.
Während 38 Prozent der Studienteilnehmer sich vorstellen konnten, unter bestimmten Bedingungen das eigene Leben vorzeitig beenden zu wollen, traf dies nur für 19 Prozent in Bezug auf einen Angehörigen und für 14 Prozent auf andere Personen im Allgemeinen zu. Der größte Teil beantwortete die Frage mit „Das kann ich nicht beurteilen“. Nur 15 Prozent kreuzten „Nein“ an.
Altersabhängig
Die unterschiedlichen Altersgruppen unterschieden sich deutlich hinsichtlich ihrer Vorstellungen, ihr Leben möglicherweise vorzeitig beenden zu wollen. Am häufigsten war dieser Wunsch bei Personen mittleren Alters (40-59 Jahre) mit 43 Prozent. Die Älteren (60-79 Jahre) hingegen verneinen dies am deutlichsten (24%; 18-39 J: 10%; 40-59 J: 10%).
Unterschiedlich geprägt
Über die Gründe für diese altersabhängigen unterschiedlichen Bewertungen lägen nach Ansicht der Forscher zu wenige Erkenntnisse vor. Jedoch müsse die Skepsis gegenüber lebenszeitverkürzenden Handlungen bei älteren Befragten vor dem Hintergrund soziokultureller Faktoren gesehen werden. Möglicherweise sei die ältere Generation geprägt durch die Tabuisierung einer offenen Diskussion über das Lebensende. Auch psychologische Faktoren wie der „response shift“ könnten hier eine Rolle spielen. Demnach tarieren Menschen ihre Haltung hinsichtlich dessen, was für sie (am Lebensende) tragbar ist, immer wieder neu aus.
Großer Unsicherheit behutsam begegnen
Der Bundestag hat im November die geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten. Basierend auf den Ergebnissen der Umfrage stellen die Wissenschaftler infrage, ob das neue Gesetz den differenzierten Wünschen der Menschen gerecht wird. Es sei anzunehmen, dass die Trennlinie zwischen geschäftsmäßiger und nicht geschäftsmäßiger Sterbehilfe nicht in jedem Fall eindeutig ist. Nicht zuletzt deshalb müssten die neuen Bestimmungen sehr behutsam kommuniziert und begleitet werden. Die Einschätzung der Bevölkerung sei oft durch eine große Unsicherheit gekennzeichnet. „Wie komplex die Thematik ist, sieht man daran, dass viele Teilnehmer auf die Fragen mit ‚Das kann ich nicht beurteilen‘ antworteten“, sagte Jan Schildmann vom Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Ruhr-Universität Bochum.
Quellen
- Ruhr-Universität Bochum. Umfrage zum Wunsch nach Selbsttötung. Pressemitteilung vom 16. Dezember 2015.
- Bertelsmann Stiftung, Barmer GEK. Palliativversorgung und Sterbehilfe. Gesundheitsmonitor 4/2015.
Mehr zum Thema
Viele schwerkranke Menschen fühlen sich gut versorgt, solange noch Hoffnung auf Heilung besteht. Was aber ist mit jenen, deren Leben sich unweigerlich dem Ende entgegen neigt? Ihre Bedürfnisse und Wünsche verändern sich meist dramatisch. Wie kann Pflege hierauf angemessen reagieren? Lesen Sie dies in der Lerneinheit „Palliative Care“.
Diese Meldungen könnten Sie auch interessieren
Hospiz- und Palliativgesetz beschlossen
09.11.2015. Eine würdevolle Sterbebegleitung soll flächendeckend möglich sein.
Suizidbeihilfe – strafbar oder nicht?
04.11.2015. Liberale Vertreter verbünden sich vor Abstimmung am Freitag im Bundestag.
