Abrechnungsbetrug in der häuslichen Pflege
20.04.2016
Kristina Mohr
Krankenkassen und Gesundheitspolitiker fordern, die Abrechnungen von ambulanten Pflegediensten stärker zu kontrollieren. Nach Medienberichten vom Wochenende liegen dem Bundeskriminalamt Hinweise vor, dass russische Pflegedienste die deutschen Sozialkassen jährlich um mindestens eine Milliarde Euro betrügen.
Nach Informationen der „Welt der Sonntag“ und dem Bayerischen Rundfunk habe der systematische Betrug russischer Pflegedienste bundesweit eine neue Dimension erreicht. Es gäbe Hinweise auf Strukturen der organisierten Kriminalität. Wie die zwei Medien berichten, seien die Betrugsformen vielfältig und reichten von gefälschten Pflegeprotokollen nicht erbrachter Leistungen bis hin zu simulierter Pflegebedürftigkeit von Patienten, die in den Betrug verwickelt sind.
Gesetzliche Grundlage für unangemeldete Kontrollen schaffen
Ursächlich für den Abrechnungsbetrug ist nach Ansicht des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eine Gesetzeslücke: Krankenkassen haben im Gegensatz zu den Pflegekassen nicht das Recht, vor Ort zu prüfen, ob ihre Leistungen korrekt erbracht werden. „Es gibt einen ganz klaren Hinweis, dass der Gesetzgeber den Krankenkassen die Möglichkeit geben müsste und dafür auch eine gesetzliche Grundlage schafft, dass wir auch bei häuslicher Krankenpflege ein unangemeldetes Prüfrecht bekommen“, sagte Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, gegenüber der „Welt am Sonntag“ und dem Bayrischen Rundfunk. Dies gelte insbesondere, wenn sie in Kombination mit Leistungen der Pflegeversicherung auftauche, so Kiefer.
Lauterbach: „Kontrollieren vor Ort, nicht nur auf dem Papier"
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bezeichnete das Betrugssystem im ARD-Morgenmagazin als „einen der größten Skandale im Gesundheitswesen der letzten Jahrzehnte." Lauterbach forderte neben besseren Kontrollen für die Leistungen der Pflegekassen ebenfalls eine Gesetzesänderung, die es ermögliche, bei unangemeldeten Hausbesuchen auch die von der Krankenversicherung gezahlten Leistungen zu überprüfen. „Im Pflegebereich stehen wir grundsätzlich vor dem Problem, dass zwar viel kontrolliert wird, aber oft das Falsche", sagte Lauterbach der „Passauer Neuen Presse". Es müsste unangemeldet und gezielt geprüft werden, und zwar nicht nur Qualität und Abrechnung der Leistungen, sondern auch die Identität des Pflegepersonals. „Ich hoffe, dass wir noch in dieser Legislaturperiode zu einer Einigung kommen", so der Politiker gegenüber mehreren Medien. Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) unterstützte die Forderung nach mehr Kontrollbefugnissen gegenüber der „Welt" und „BR Recherche“.
Laumann: Unangemeldete Kontrollen schwierig umsetzbar
Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), wies im Deutschlandfunk (DLF) darauf hin, dass unangemeldete Kontrollen nicht so einfach umsetzbar wären. Denn ohne die Zustimmung des Pflegebedürftigen könne ein Sozialdienst dessen Wohnung nicht einfach betreten. Trotzdem müssten für Kranken- wie Pflegeversicherung die gleichen Kontrollregeln gelten. „Mir ist auf jeden Fall seit dem Wochenende klar, dass die Möglichkeiten, die im Bereich der Pflegeversicherung zur Verfügung stehen, auch natürlich im Bereich der Krankenkassen zur Verfügung stehen müssen, weil es ja so ist, dass in der Regel sowohl Leistungen der Pflegeversicherung wie der Krankenkassen gebraucht werden, um einen Menschen gut zu versorgen“, sagte Laumann im DLF-Interview.
Nicht alle Pflegenden gleich beurteilen
Laumann warnte jedoch davor, nun die ganze Pflegebranche über einen Kamm zu scheren. Es gäbe Tausende von Pflegediensten und Hunderttausende von Beschäftigten, die sich jeden Tag sehr anstrengen, mit einer hohen Fachlichkeit und guten ethischen Einstellungen die Menschen zu versorgen. „Wir müssen jetzt aufpassen, dass nicht die ganze Branche in Verruf gerät“, sagte er dem DLF. „Da wird schon gesagt, es wird schlecht gepflegt. Wenn jetzt noch „kriminell“ dazukommt, ich sage mal, wer will dann überhaupt noch einen Pflegeberuf ergreifen“, so Laumann. Ähnlich äußerte sich Geschäftsführerin des DBfK Nordost, Ulla Rose: „Mit pauschalen Vorwürfen gegen die gesamte Branche kommen wir nicht weiter“, sagte Rose. Pflegende bräuchten Wertschätzung und Vertrauen in ihre Arbeit. Der DBfK fordere deshalb einen differenzierten und verantwortungsvollen Umgang mit Äußerungen über die Arbeit der Dienste und der Pflegenden.
Quellen
- Die Welt. Betrug durch russische Pflegedienste grassiert. Meldung vom 16. April 2016.
- Die Welt. Bundesregierung geht gegen Pflegebetrüger vor. Meldung vom 19. April 2016.
- Tagesschau.de. Mehr Kontrollen gegen Betrug bei der Pflege. Meldung vom 18. April 2016.
- GKV Spitzenverband. Unangemeldetes Prüfrecht bei häuslicher Krankenpflege nötig. Pressemitteilung vom 18. April 2016.
- Deutschlandfunk. Laumann: Unangemeldete Kontrollen schwierig. Interview vom 19. April 2016.
- DBfK Nordost. DBfK Nordost verurteilt pauschale Vorwürfe wegen Abrechnungsbetrug. Pressemitteilung vom 18 April 2016.
