Depressionen: Künstliche Krampfanfälle können helfen
02.08.2016
Kristina Mohr
Eine Elektrokonvulsionstherapie (EKT) kommt bei Patienten mit schweren Depressionen zum Einsatz, die auf konventionelle Therapien nicht ausreichend ansprechen. Bei dieser Behandlungsmethode wird während einer Kurznarkose im Gehirn künstlich ein epileptischer Anfall ausgelöst. Dieser führt bei vielen Patienten mit schweren Depressionen zu einer verbesserten Symptomatik. Um die individuellen Erfolgsaussichten dieser aufwendigen Therapie besser einschätzen zu können, hat eine Forschergruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) nun ein Computerprogramm entwickelt. Mit dessen Hilfe können Ärzte zu 80 Prozent vorausberechnen, ob eine EKT für den Patienten sinnvoll ist.
Das Computerprogramm wertet MRT-Bilder von Patienten aus. Mithilfe der gesammelten Daten kann die „lernende“ Software den voraussichtlichen Erfolg einer EKT mit einer Zuverlässigkeit von 80 Prozent vorhersagen. „Das ist ein bahnbrechender Erfolg“, meint Prof. Dr. Volker Arolt, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster (UKM). „Wenn sich die Ergebnisse bestätigen, müssen wir in Zukunft die Patienten, bei denen die EKT keinen Erfolg verspricht, nun gar nicht erst dieser aufwendigen Behandlung unterziehen, sondern können gleich andere Therapien versuchen.“
Neues Nervenwachstum im Gehirn
Eine Elektrokonvulsionstherapie hilft rund 70 Prozent der Patienten mit schweren Depressionen, die auf eine medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlung nicht angesprochen haben. Trotz der hohen Erfolgszahlen ist aber noch nicht abschließend erforscht, wie sie wirkt. Als entscheidend gilt der 30 bis 90 Sekunden dauernde Krampfanfall, von dem der schlafende, muskelrelaxierte Patient nichts mitbekommt. Nach Ergebnissen des DFG-Forscherteams regt die elektrische Stimulation scheinbar neues Nervenwachstum im Gehirn an. So sei bei chronisch depressiven Patienten die graue Substanz rund um den Hippocampus im Gehirn verringert. Dieser Entwicklung wirke eine EKT-Behandlung entgegen.
Horror einer Elektroschocktherapie ist Vergangenheit
Die Risiken einer Elektrokonvulsionstherapie wurden in den letzten Jahren deutlich minimiert. Sie sei mittlerweile nicht riskanter als eine Narkose bei kleineren operativen Eingriffen. „Man muss sich von der Vorstellung lösen, die viele noch aus der Anfangszeit der Elektrokonvulsionstherapie vor Augen haben“, sagt Prof. Dr. Dr. Udo Dannlowski, Sprecher der DFG-Forschergruppe und Oberarzt am UKM. „Die Therapie ist heute weit weniger invasiv und hat kaum Nebenwirkungen, muss allerdings etwa zwölf Mal erfolgen.“
Quelle
Universitätsklinikum Münster
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